mercoledì 23 ottobre 2019

Dorothea Buck - "Solange wir miteinander reden, bringen wir uns nicht um"


Für ihre 1990 erschienene Autobiografie brauchte sie 13 Jahre. Denn immer wieder war ihr der Zorn dazwischen gekommen. Der Zorn über das, was ihr angetan worden war, aber auch jener über die "Sprachlosigkeit" in der Psychiatrie, wie sie es nannte. Wenn über Psychiatriepatientinnen und -patienten am Schreibtisch entschieden wurde, wenn sie einfach behandelt wurden, ohne mit ihnen zuvor über diese Behandlungen überhaupt zu sprechen. "Solange wir miteinander reden, bringen wir uns nicht um", sagte Dorothea Buck, die 1936 nach ihrer ersten Psychose als schizophren diagnostiziert und gemäß dem "Erbgesundheitsgesetz" zwangssterilisiert wurde. Die OP-Narbe erklärte man ihr danach als Blinddarmnarbe.



Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der Lebensplan der 1917 in Naumburg an der Saale Geborenen gelautet: Kindergärtnerin werden, heiraten, eigene Kinder bekommen. Danach lernte sie erst Töpferin und ging in weiterer Folge auf Kunsthochschulen und wurde Bildhauerin.



1943, während einer erneuten Psychose, erfuhr sie an der Uniklinik Frankfurt/Main von den Patiententötungen des NS-Regimes. Knapp zwei Jahrzehnte später beendete sie deshalb ihre künstlerische Karriere.
In ihrer Autobiografie Auf der Spur des Morgensterns schrieb Buck: "Seit dem Ende der 50er Jahre arbeitete ich als Bildhauerin an öffentlichen Aufträgen, die nur durch Wettbewerbe zu gewinnen waren und hätte meine ungeteilte Aufmerksamkeit für meine Arbeit gebraucht. Doch die verdrängten Patientenmorde und die Unmenschlichkeit unserer Anstalten beeindruckten mich so tief, dass es mich immer wieder von der künstlerischen Arbeit weg an die Schreibmaschine drängte. In meiner künstlerischen Arbeit ging es mir um die Beziehungen der Formen und Gestalten zueinander; die Beziehungslosigkeit der Psychiater zu ihren Patienten widersprach allem Menschlichen, ohne das es für mich keine Kunst geben kann."

Sie schrieb ein Theaterstück, verfasste Aufsätze, hielt Vorträge
"1961, während des Eichmann-Prozesses, kam das wieder hoch", sagt die Berliner Filmemacherin Alexandra Pohlmeier, die mit Buck seit dem Jahr 2000 befreundet war und 2008 einen Film über sie herausbrachte. Buck arbeitete damals an einer Plastik für die Schule An der Gartenstadt in Wandsbek, verfolgte aber gleichzeitig die Berichte über den Prozess und fand sich zunehmend außerstande, weiter zu arbeiten. "Sie sagte, sie könne so lange keine Kunst machen, so lange es in der Psychiatrie an der einfachsten Menschlichkeit fehlt", erzählt Pohlmeier. "Und das hat sie so durchgezogen. Es war, als ob sie ein schlechtes Gewissen hätte, noch etwas anderes zu tun außer in der Psychiatrie für bessere Verhältnisse zu sorgen."
Buck wurde zur "Ikone der deutschen Psychiatrieerfahrenen-Bewegung", wie Pohlmeier es formuliert. Sie schrieb ein Theaterstück über die NS-Morde an Psychiatriepatienten und behinderten Menschen, verfasste Aufsätze, hielt Vorträge und schrieb Briefe an Politiker, um sich für eine humanere Psychiatrie einzusetzen.
1989 gründete sie mit anderen Betroffenen den Bund der "Euthanasie"-Geschädigten und Zwangssterilisierten, im selben Jahr begann sie, mit dem Hamburger Psychologen Thomas Bock sogenannte Psychoseseminare zu entwickeln, bei denen Betroffene, Angehörige und Profis zusammenkommen. "Die Begegnung inklusive der Angehörigen, also der Trialog, war unsere gemeinsame Idee", sagt Bock heute. Der Professor für klinische Psychologie und Sozialpsychiatrie sieht in der vermutlich letzten Überlebenden der NS-Psychiatrie eine bedeutende Aktivistin mit Wirkung über die Psychiatrie hinaus – und seine wichtigste Lehrerin. "Sie war eine beeindruckende Künstlerin, doch der Kampf für eine menschlichere Psychiatrie war ihr wichtiger."


Ihre Autobiografie veröffentlichte sie ursprünglich unter dem Pseudonym Sophie Zerchin, ein Anagramm des Wortes Schizophrenie, um ihre Karriere als Künstlerin nicht zu gefährden. Einige Jahre später kam das Buch noch einmal unter ihrem richtigen Namen heraus. "Bis dahin hatten sich die Vorurteile gegenüber Psychose-Erfahrenen stark geändert", sagt Thomas Bock, "dazu haben unsere Seminare beigetragen."
Viele Psychiatrie-Erfahrene suchten sie auf, bis zuletzt
"Es hat sich dann auch mal ausgezornt", sagte Dorothea Buck, nachdem sie ihre Autobiografie vollendet hatte. Denn es sei ihr bewusst gewesen, dass sie in diesem Zorn niemanden erreiche. "Sie hat sich sehr bemüht, den für sich zu behalten", sagt Alexandra Pohlmeier. "Trotzdem war sie knallhart in ihren Forderungen." Aber immer den Menschen zugewandt. In ihrem letzten gemeinsamen Gespräch, erinnert sich Pohlmeier, habe Buck sich darüber beschwert, dass in der Psychiatrie "immer alles so negativ" sei. Statt "Oh, Sie Armer sind schon wieder da" solle man lieber sagen: "Wie schön, dass Sie wieder hier sind! Sehen Sie mal in den Kühlschrank, da steht Ihr Lieblingsjoghurt." Sie habe, sagt Pohlmeier, "im Kleinen immer geguckt, was jemandem guttun würde". Entsprechend waren viele der täglichen Besucher, die bis zuletzt per Terminkalender eingeteilt werden mussten, um Buck nicht zu überlasten, Psychiatrieerfahrene. "Die haben in ihr eine ermutigende Vorbildfrau gesehen", sagt Pohlmeier.

Mit einer kleinen Erbschaft gründete Buck 2011 die Dorothea-Buck-Stiftung, die Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung bei ihrer Ausbildung zu Genesungsbegleitern unterstützen will. 1997 bekam sie das Verdienstkreuz 1. Klasse, 2008 das Große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. 2017 wurde sie vom Hamburger Senat für ihr Lebenswerk ausgezeichnet.
Für Thomas Bock war sie "eine sehr kraftvolle Person mit einer unheimlichen Ausstrahlung und unglaublicher Energie. Sie war bis zum letzten Atemzug eine Kämpferin. Noch im 100. Lebensjahr hat sie Briefe an Politiker diktiert. Wenn sie sich über etwas empörte, konnte man davon ausgehen: Da stimmt wirklich was nicht." Bei ihrem letzten Zusammentreffen etwa zwei Wochen vor ihrem Tod erlebte er sie als "uralt, aber schelmisch, müde, aber sehr freundlich, in ihrer inneren Welt und trotzdem zugewandt".

"Ich kenne niemanden, der von ihr unbeeindruckt geblieben ist", sagt Alexandra Pohlmeier. "Die meisten sagten: Schade, dass ich sie erst jetzt kennengelernt habe."
Dorothea Buck ist am Vormittag des 9. Oktober im 103. Lebensjahr verstorben.

Hinweis: Auf Wunsch eines der Gesprächspartner wurde ein Zitat nach Veröffentlichung dieses Artikels noch geringfügig abgeändert.


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